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Pastoralreferent Markus Waite 2021Wort zum Sonntag,
31.12.2023

Eine Geschichte zum Jahreswechsel

Ein kleiner Junge kommt später nach Hause als erwartet. Seine Mutter fragt nach dem Grund. „Ich habe Julia geholfen! Ihre Puppe ist kaputt gegangen.“ „Hast Du ihr geholfen,
sie zu reparieren?“ „Nein, ich habe ihr geholfen zu weinen.“

Eine Geschichte, die berührt, oder? Andererseits: Warum weint der Junge nur mit Julia? Warum versucht er nicht, sie zu trösten? Trösten ist eine gute Sache. Ehrenwert. Und manchmal, wenn nicht gar meistens‚ genau das Richtige.

Aber es gibt Situationen, da sind wir zu schnell dabei, trösten zu wollen. Und das könnte den Eindruck erwecken, wir wollten den Schmerz klein machen, weg haben. So hat vielleicht auch die Mutter in unserer kleinen Geschichte gedacht: „Es ist doch bloß eine Puppe! Die lässt sich schnell reparieren. Und dann ist alles wieder gut.“ Aber für Julia ist es nicht irgendeine Puppe: Es ist ihre geliebte Puppe! An der hält sie sich fest. Und jetzt bricht für sie eine Welt zusammen: ihre kleine, aber ganz persönliche Welt. Der Junge merkt das. Er spürt Julias Schmerz. Er lässt ihn zu. Er hält ihn mit ihr aus.

Obwohl wir noch mitten in der Festzeit sind: sicher keine Weihnachtsgeschichte, oder? Eine Geschichte für den Jahreswechsel? Eher nicht: keine Bilanz der Zufriedenheit über die eigenen Leistungen, kein optimistischer Blick in die Zukunft! Aber vielleicht eine Botschaft zum „Weltfriedenstag“, wie ihn die katholische Kirche an Neujahr begeht?

Wie „alle Jahre wieder“ ist auch im vergangenen Jahr vieles kaputtgegangen: Israel und Gaza – Ukraine und Russland – Prag – Afghanistan, Iran und Pakistan – Syrien und Jemen – und und und ... Wo ist der „Fürst des Friedens“ und wo die „Gerechtigkeit“, von denen der biblische Prophet Jesaja an Weihnachten spricht? (Kapitel 9, Verse 1 - 6) Wo der „Friede auf Erden“, von dem die Engel – und wir – an Heiligabend gesungen haben? (Lukas-Evangelium 2,14) Wer noch an einen „guten Gott“ glaubt, mag fragen: „Wann ist es so weit? Wann endlich machst du heil: Julias Puppe und unsere in Unordnung geratene Welt? Spürst du nicht unsere Ohnmacht?“

„Ich habe geholfen zu weinen.“ Vielleicht ist das manchmal das Einzige, was uns bleibt, was wir tun können. Na ja: außer Beten. Und beides – Mitweinen, Beten – ist etwas, mit dem wir Solidarität üben können. Und das ist mehr als nichts: Oft schon habe ich gehört, dass es z.B. politische Gefangene als Unterstützung empfinden, wenn sie wissen: Da sind Menschen, die mich nicht vergessen, die an mich denken, um mich weinen, für mich beten.

„Alle Jahre wieder“ hören wir an Weihnachten: Ein Kind wird geboren – nein, kein „holder Knabe im lockigen Haar“: Es kommt ein Säugling in einer Notunterkunft zur Welt, ist gleich schon wieder auf der Flucht. Und kaum erwachsen wird sein Leben erneut „durchkreuzt“. Dann heißt es auch: „Er trägt unsere Krankheit und lädt unsere Schmerzen auf sich.“ (Jesaja 53,4) Das bedeutet nicht: Er nimmt unsere Schmerzen und unsere Krankheit weg! Vielleicht eher: Er trägt sie mit. Mit den Kranken und mit denen, die Schmerzen haben. Auch mit mir, wenn ich jemand brauche, der bei mir mitträgt. Das ist nicht „Trösten“, eher: „Weinen helfen“.

Der Junge sagt: Ich habe Dir geholfen zu weinen. – Eine Geschichte für das alte und das neue Jahr, die taugt: für unsere Welt heute!

Markus Waite,
Pastoralreferent im Pastoralen Raum Hammelburg

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