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Wort zum Sonntagevg. Pfarrer Lübke Steffen 2022

02.04.2023

Die Fragen lieben

Wie vielen anderen Angehörigen der schreibenden Zunft fällt es auch mir oft schwer, einen Anfang zu finden. Ich frage mich:
Woher kommt das?

Einfacher ist es, wenn mir jemand ein Thema vorgibt. Da fällt mir dann schon etwas dazu ein. Aber einfach so? Ein Wort zum Sonntag? Was, von dem, was mich beschäftigt, interessiert denn schon jemanden, der oder die das Wort zum Sonntag in der Zeitung liest? Und ist denn meine Meinung dazu so wichtig, dass ich sie gleich in der Zeitung zum Besten geben müsste?

Was mich hemmt ist, wenn ich die Erwartung spüre, eine Antwort geben zu sollen. Vor allem, wenn ich nicht weiß, ob jemand dazu überhaupt eine Frage hat. Ich möchte nicht Antworten auf Fragen geben, die niemand gestellt hat. Ich möchte vor allem erst einmal die Fragen richtig verstehen. Das ist eine meiner wichtigsten Aufgaben als Krankenhausseelsorger: Die Fragen richtig verstehen.

Bei dem amerikanischen Franziskanerpater und Autor Richard Rohr habe ich dazu einen wertvollen Gedanken gefunden. In einem Vortrag, den er 1990 in Darmstadt gehalten hat, sagte er: „Unsere Fragestellungen entscheiden, was wir wirklich suchen. Deswegen müssen wir unsere Fragen kennen.“ Und unseren Fragen zu folgen, hält uns offen. Antworten schließen ab, und oft genug schließen sie auch aus, nämlich diejenigen, die andere Antworten haben. Aus Antworten heraus zu leben, scheint freilich zunächst einfacher: Ich habe eine Position, zu der ich stehe, mit der ich mich behaupte. Das verleiht mir eine gewisse Macht. Rohr macht aber deutlich, dass hierin die Ursache vieler Konflikte und letztlich auch Kriege liegt. Wir hauen uns unsere Antworten gegenseitig um die Ohren anstatt aufeinander zu hören.

Je länger ich darüber nachdenke, wird mir klar, dass es eigentlich darum geht, die Fragen lieben zu lernen und die Unsicherheit auszuhalten, dass ich keine letztgültigen Antworten habe.

In seinem Gedicht über die Geduld schreibt Rainer Maria Rilke: „Man muss Geduld haben mit dem Ungelösten im Herzen, und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben, wie verschlossene Stuben und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind. Es handelt sich darum, alles zu leben. Wenn man die Fragen lebt, lebt man vielleicht allmählich, ohne es zu merken, eines fremden Tages in die Antworten hinein.“

Also gebe ich heute ein paar gute Fragen an sie weiter. Sie stammen aus einem Spiel, das „Wahrheit oder Pflicht“ heißt und in dem Themenheft Wahrheit von „Andere Zeiten e.V.“ zu finden ist. Dort können Sie entscheiden, ob sie die Frage beantworten oder sich stattdessen für eine bestimmte Aufgabe verpflichten wollen, z.B. einen Tag lang ein Kleidungsstück verkehrt herum zu tragen. Aber für hier und heute: Stellen Sie diese Fragen sich selbst. Und wenn sie möchten, teilen Sie sie mit anderen. Hier ein paar Beispiele: „Was war das Mutigste, was Sie jemals getan haben? Wann haben Sie das letzte Mal geweint? Warum? Was glauben die Menschen von Ihnen, was eigentlich nicht stimmt? Wer ist der wichtigste Mensch in Ihrem Leben?“

Und ich füge noch eine eigene Frage hinzu: Wenn Sie ein Bild von Ihrer Hoffnung malen würden, wie würde es aussehen?

Steffen Lübke,
evang. Pfarrer für Krankenhaus- und Rehaseelsorge in Bad Kissingen
 

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