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Pastoralreferentin Anja May 2022Wort zum Sonntag,

Sonntag 27. Februar 2022 

 

Wo bleibt Gottes „Anarchie des Herzens“ ?

 

Weinen möchte ich, laut schreien vor Wut. So viele Menschen, denen

Leid zugefügt wurde, so viel geistlicher Vertrauens- und

Machtmissbrauch. Seelen, die in ihrem tiefsten inneren verletzt wurden,

die nie wieder heilen werden.

Die Kirche, die mir Heimat und Geborgenheit vermittelt hat, erscheint mir nun kalt und dunkel. Hier glaubte ich, dass meine Ideale von Liebe, Hoffnung und Geduld geteilt würden. Dass die Kirche den Raum schafft, dass das, was Jesus uns vorgelebt hat, hier verwirklicht werden kann. Aber es stellte sich heraus, dass das System Kirche versagt hat. Es hat sich ins Gegenteil verkehrt und das Prinzip der uneingeschränkten Liebe Gottes zu allen Menschen pervertiert.

Tatsächlich kommt es mir so vor, als hätte Hanns Dieter Hüsch, der Kabarettist und Poet mit seinem Gedicht Recht gehabt als er verkündete:

Wir, die Kirche haben Gott in aller Freundschaft nahe gelegt, doch das Weite aufzusuchen und gleich alles mitzunehmen, was die Kirche schon immer gestört. […] vor allem Liebe, Hoffnung und Geduld. Seine alte Krankheit, alle Menschen gleich zu lieben, seine Nachsicht, seine fassungslose Milde, seine gottverdammte Art und Weise alles zu verzeihen und zu helfen, – […] und vor allem, seine Anarchie des Herzens [...]“ Diesen Text verfasste Hanns Dieter Hüsch bereits 1988, aber ich finde er hat in den letzten Jahren und vor allem Monaten an Brisanz und Aktualität gewonnen, leider. Nicht selten werde ich angefragt, wie ich diese Institution noch stützen könne, das habe doch alles nichts mehr mit Gott und seiner Botschaft zu tun. Und leider weiß ich allzu oft nicht, was ich dagegen halten kann. Ja, wo ist Gottes „Anarchie des Herzens“? Allzu oft vermisse ich sie, wenn ich mich mit Strukturfragen beschäftigen muss, wenn ich keine Zeit für die Menschen in meiner Gemeinde habe, wenn ich wieder mal einen Gottesdienst besuche, dort Worte von Liebe und Hoffnung höre, die aber in diesem Kontext nur einen faden Nachgeschmack bei mir hinterlassen.

Gott sei Dank, gibt es aber noch diejenigen, die scheinbar unbeirrbar an dieser Anarchie des Herzens festhalten. Meistens finde ich sie unter den Ehrenamtlichen. Es ist nicht, so, dass viele engagierte Menschen nicht entsetzt und verletzt über die Verbrechen in ihrer Kirche sind; aber sie verzweifeln darüber nicht. In dem Pfarrgemeinderat, den ich begleiten darf wird scharf verurteilt, was passiert und Veränderungen gefordert.Gleichzeitig aber sagen diese Ehrenamtlichen, wir sind Kirche, und zwar nicht im Sinne der Institution und des missbräuchlichen Systems. Sie sind Gemeinschaft in dem Sinne, wie es im ersten Korintherbrief steht. Wir sind alle Glieder des einen Leibes, Jesu Christi – nicht des Systems! Sie gestalten aus diesem Glauben heraus das Leben vor Ort. Sie halten die Botschaft Jesu hoch und nehmen sie als Maßstab für ihr eigenes Handeln. Das gibt mir in all dieser Verzweiflung Hoffnung, dass die Botschaft Jesu, von Liebe, Hoffnung und Geduld, von Menschlichkeit und Gerechtigkeit, dass sie diese Krise überstehen wird. Weil es noch Menschen gibt, die Gott suchen, da wo er ist, bei den Menschen. Ich will mich ihr auch hingeben, dieser Anarchie des Herzens und ich hoffe viele machen mit!

 

Anja May, Pastoralreferentin im Pastoralen Raum Bad Brückenau

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