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Wort zum Sonntag, 23.01.2022

Dekan Till Roth, evang. Pfarrer Lohr a. Main

Den unterhaken, der taumelt

"Weltknuddeltag“ steht in meinem Kalender beim 21. Januar. Es war mir bisher unbekannt, dass es einen solchen Tag gibt. Aber ich zögere nicht lange, dies als Thema zu wählen. Weltknuddeltag für eine Gesellschaft, die von einer unüberschaubaren Virusausbreitung verunsichert ist. Das knistert, merke ich. Für manchen knallt dieses Zusammentreffen gar gewaltig!

Nun, der Weltknuddeltag wurde anscheinend zum ersten Mal am 21. Januar 1986 im US-Bundesstaat Michigan gefeiert und hat sich seitdem in die ganze USA, nach Kanada, England, Australien, Russland, Polen und nicht zuletzt auch zu uns ausgebreitet. Ich lese auf der deutschen Internetseite, dass dieser Tag einen Anreiz geben soll, Freunden oder der Familie mit einer Umarmung öfter zu zeigen, was sie einem bedeuten. Es wird hervorgehoben, dass es zu unser aller Wohlbefinden beiträgt, Gefühle wie Zuneigung und Dankbarkeit auszudrücken und anderen mitzuteilen. Ja, die Verfasser beschreiben Knuddeln regelrecht als Medizin: Die Hormone Oxytocin und Dopamin werden im Körper freigesetzt, was Stress abbauen und Ängste verringern hilft, den Blutdruck senkt und das Immunsystem stärkt.

Da sind wir schon beim Dauerthema Pandemie gelandet: Ein starkes Immunsystem ist ein wichtiger Faktor beim Infektionsgeschehen. Doch der erste Satz der aktuellen Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung lautet: „Jeder wird angehalten, wo immer möglich zu anderen Personen einen Mindestabstand von 1,5 m einzuhalten...“ Also: Weltknuddeltag verschieben und Immunsystem mit Pillen stärken? Hier zeigt sich ein tiefer liegendes Problem der Kommunikation von Virologen und Politikerinnen. Der Blick ist durch die Gefahr gebannt. Experten und Verantwortungsträger leiten entsprechend an, die Gefahr zu meiden. Das Ergebnis in der Kommunikation ist die Sprachgattung der Sanktionen und Verbote, oder milde ausgedrückt der Verhaltensempfehlungen.

Was nicht oder viel zu wenig gesagt wird ist das, was wir tun können und dürfen, um uns körperlich und seelisch zu stärken. Weltknuddeltag – ja, natürlich! In diesem Jahr gerne das ganze verlängerte Wochenende. Ich möchte nicht missverstanden werden: Ich halte die AHA+L-Regel für vernünftig und wegweisend in dieser schwierigen Zeit. Aber wo es angemessen ist, verzichte ich keineswegs auf eine Berührung. Wer mir zum Abschied die Hand hinhält, dem schüttele ich sie. Niemand kann das verbieten. Diakonie und Pflege kommen sowieso nicht ohne Berührung aus. Auch im seelsorgerlichen Handeln lieber einfühlsame Nähe bei gebotener Distanz mit Maske zeigen als ohne Maske am Prinzip des Mindestabstands festhalten. Auch wenn wir nicht Jesus sind: Er berührte gegen die damaligen hygienischen Normen ansteckend kranke und sogar tote Menschen. Den meisten Eltern ist es wichtig, dass ich ihren Kindern bei der Taufe die Hand auflege. Solche Gesten kurzer körperlicher Kontakte sind wichtig und durchaus mit verantwortlichem Hygieneschutz vereinbar. Auch im zwischenmenschlichen Kontakt gibt es viele solcher kleiner Gesten. Verlernen wir sie nicht vor blinder Angst! Haken wir den unter, der taumelt! Das geht nicht mit Mindestabstand! Und in der Familie: Geben wir die Nähe und körperliche Wärme, die so wichtig ist für die anderen! Weltknuddeltag? Recht verstanden ist das kein Unsinn in pandemischen Zeiten.

Dekan Till Roth, Lohr a. Main

 

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